Sollten in Stellenanzeigen Gehälter angegeben werden?

Gehaltsangaben in Stellenanzeigen

Sollten in Stellenanzeigen Gehälter angegeben werden?

79% der Bewerber wünschen sich, dass Gehaltsangaben in Stellenanzeigen verpflichtend sein sollten, aber 60% der Personaler sind dagegen ihre Gehaltsspannen zu veröffentlichen. Die Folge, nur 11,6 % aller Stellenanzeigen geben die gebotene Gehaltsspanne an. Stattdessen wird mit Luftblasen wie „leistungsgerechte Bezahlung“ oder „attraktives Gehalt“ um Bewerber geworben.

Über Geld spricht man nicht, aber warum eigentlich?

 

Der Deutsche scheut sich übers Gehalt zu sprechen. Selbst der eigene Partner weiß häufig nicht, was man verdient. Studien zeigen, dass wir mit Fremden lieber über unser Sexleben sprechen würden als darüber, was am Ende des Monats auf dem Gehaltszettel steht. Laut Wirtschaftspsychologen und Ökonomen gibt es dafür zwei Gründe: Zum einen scheuen wir Hierarchien. Wir wollen nicht zeigen, dass wir mehr oder weniger haben als die anderen. Zum anderen glauben die meisten Deutschen nicht daran, dass ihr Erfolg der eigenen Leistung geschuldet ist. Stattdessen glauben wir, dass persönlicher Erfolg und Einkommen stark von der Umwelt, dem Elternhaus oder gar vom Glück abhängigen. In anderen Kulturen ist das anders. In Asien, wo starre Hierarchien normal sind und geachtet werden, und in Amerika, wo Erfolg der Meinung nach vom eigenen Bemühen abhängt, wird auch ganz offen über das Gehalt geredet.

Unser Problem offen über Gehälter zu sprechen, scheint also ein kulturelles zu sein – bis zum Bewerbungsgespräch. Denn hier wird jeder plötzlich dazu gezwungen, seinen Marktwert offen auszusprechen und zu verteidigen. Dann wird es für die Bewerber unangenehm und peinlich. Das freundliche Kennenlernen wird zum Minenfeld. Fast wie der Kontakt mit einer fremden und unbekannten Kultur. Und dabei ist doch inzwischen eigentlich jedem Personaler klar: Wenn der Bewerber sich schon im Vorstellungsgespräch unwohl fühlt, wird eine Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag unwahrscheinlich. Unternehmen könnten dies ganz einfach verhindern, indem sie das mögliche Gehalt gleich in der Stellenanzeige angeben und so eine Verhandlung auf Augenhöhe ermöglichen. Tun sie aber nicht und wollen sie auch gar nicht. Nur warum?

Warum Unternehmen keine Gehälter angeben wollen – und warum das Quatsch ist

 

In aller Deutlichkeit: Eigentlich gibt es kein vernünftiges Argument gegen die Gehaltsangabe in der Stellenanzeige. Was es gibt, sind die Aussage „das haben wir doch noch nie gemacht“ und Sorgen: Was, wenn Bewerber dann mehr Gehalt verlangen als sie eigentlich wert sind? Was, wenn die aktuellen Mitarbeiter sehen, dass wir auch bereit sind mehr zu zahlen? Was, wenn die Bewerber sich dann nur bei uns bewerben, um mehr zu verdienen, ohne sich wirklich für das Unternehmen zu interessieren?

1. Wenn wir Gehälter angeben, verlieren wir Verhandlungsspielraum und die Chance jemanden zu finden, der es auch für weniger Gehalt gemacht hätte.

Im Gegenteil: Wer eine Gehaltsspanne in der Stellenanzeige angibt, bekommt eine viel größere Kontrolle über den Verhandlungsspielraum, indem er diesen von Anfang ein eingrenzt. Gehaltsverhandlungen können dadurch im Gespräch einfacher und schneller werden. Denn der Bewerber muss nicht deutlich über seinem Wunschgehalt einsteigen und der Personaler nicht deutlich unter dem gezahlten Gehalt. Stattdessen können beide Parteien anhand der Spanne und der Qualifikation des Bewerbers relativ genau einschätzen, in welchem Bereich der Gehaltsspanne der Bewerber anzusiedeln ist und dies auch besser argumentieren.
Theoretisch stimmt der zweite Teil. Vielleicht hätte es irgendwo noch jemanden gegeben, der es für weniger Geld gemacht hätte. In der Realität gibt es diesen verzweifelten Arbeitssuchenden, der die Stelle egal zu welchen Konditionen unbedingt will, heute nicht mehr. Denn die meisten Bewerber können sich aussuchen, wo sie ihren Arbeitsvertrag unterschreiben und sind durchs Internet gut über Durchschnittsgehälter und Arbeitsbedingungen informiert.

2. Dann sehen unsere aktuellen Mitarbeiter ja, dass wir auch bereit sind mehr zu bezahlen.

Stimmt! Aber was ist das Problem daran? Wenn jeder Mitarbeiter das Gehalt bekommt, das er verdient, dürfte diese Gehaltstransparenz keinen Personaler oder Geschäftsführer schrecken. Denn bei Rückfragen kann schnell erklärt werden, warum er genau sein Gehalt verdient und unter welchen Umständen das Unternehmen bereit wäre auch ein höheres Gehalt zu zahlen. Problematisch ist das nur, wenn es Mitarbeiter gibt, die eigentlich zu wenig bekommen, zum Beispiel weil sie schlecht verhandelt haben oder sich lange nicht um eine Gehaltserhöhung bemüht haben. Dann wird es zu Nachfragen und vermutlich auch Nachverhandlungen kommen. Aber das ist kein Problem, sondern eine gute Gelegenheit einen Mitarbeiter neu zu motivieren und langfristig an das Unternehmen zu binden.

3. Dann wird doch nur noch aufs Gehalt geachtet und nicht mehr auf die anderen Vorteile, die mein Unternehmen bietet.

Das stimmt nicht! HRler haben an dieser Stelle ganz falsche Vorstellungen von dem, was ihre Bewerber bewegt. Aktuelle Studien zeigen, dass 75% der HR-Mitarbeiter denken, dass Mitarbeiter den Job wechseln, weil sie sich mehr Gehalt wünschen. In Wirklichkeit sind es aber nur 30% und umso älter die Bewerber werden, umso unwichtiger wird das Gehalt. In der Nach-Corona-Arbeitswelt legen Bewerber stattdessen viel mehr Wert auf die restlichen Arbeitsbedingungen: flexible Arbeitszeiten, Home-Office, gutes Führungsverhalten und eine bessere Work-Life-Balance.

Warum Unternehmen nur gewinnen können, wenn sie eine Gehaltsspanne angeben

 

1. Die Anzahl der Bewerbungen steigt im Schnitt um 20% bei Stellenanzeigen mit einer Gehaltsangabe.

2. Personaler müssen nicht viel Zeit in Bewerbungsunterlagen von und Gespräche mit Bewerbern investieren, die am Ende wegen des Gehalts ablehnen.

3. Die Gehaltsangabe in der Stellenanzeige schafft Transparenz und ermöglicht Verhandlungen auf Augenhöhe. Sie ist der ultimative Beweis, dass die berühmten flachen Hierarchien wirklich gelebt werden.

4. Wer ein gutes Gehalt bezahlt, sollte dies im War for Talents nutzen – ohne Angst zu haben, dass Bewerber sich nur deshalb bewerben.

5. Wer die Gehaltsangabe nicht machen möchte, weil sein Gehalt nicht konkurrenzfähig ist oder er einfach nur die möglichst billigste Arbeitskraft einstellen möchte, verhält sich dem Bewerber gegenüber unfair und wird auf dem heutigen Arbeitsmarkt keine guten Mitarbeiter finden.

6. Das Gehalt wird unwichtiger bei der Entscheidung für eine neue Stelle, ist aber immer noch wichtig bei der Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung.

7. Bewerber informieren sich im Internet und in Branchenberichten über Gehälter. Der Wahrheitsgehalt dieser Angaben variiert jedoch je nach Branche stark. Das macht die Verhandlungen schwieriger und undurchsichtiger, was weder im Interesse des Bewerbers noch des Unternehmens liegt.

8. Die Gehaltsangabe verbessert die Candidate Experience stark, indem sie die Verhandlungen für den Bewerber deutlich angenehmer macht. Er fühlt sich beim Bewerbungsgespräch wohler und wird die Stelle eher annehmen.

9. Das Gehalt ist Teil der Arbeitsbedingungen. Unternehmen würden auch nicht den Arbeitsort, die Arbeitszeit oder die Aufgaben des Mitarbeiters verschweigen

10. Personaler und Geschäftsführer haben ein Wahrnehmungsproblem: Für sie sind Gehaltsverhandlungen zur Normalität geworden. Für den Rest der Deutschen sind sie jedoch unangenehm und fühlen sich unnatürlich an.